Wien plant eigene Klassen, in denen Flüchtlingen Deutsch beigebracht wird. Auch wenn man im Stadtschulrat lieber von Kursen spricht – Maßnahmen sind dringend notwendig.
Ein bisschen Theater war zu erwarten. Integrationsdiskussionen werden hierzulande nie ohne Emotionen geführt. Interessant wird es allerdings, wenn die Behörde die Information aus der eigenen Behörde dementiert. Nicht inhaltlich, sondern in der Wortwahl.
„Die Presse“ berichtete am Samstag, dass Wien eigene Klassen für schulpflichtige Flüchtlinge und Quereinsteiger plant, sie sollen für maximal ein Jahr Deutsch lernen, um dem Unterricht folgen zu können. Die Information dazu kam von Ulrike Doppler-Ebner, zuständig für die Sprachförderung im Wiener Stadtschulrat. In einem langen Interview erklärte sie der „Presse“, wie die neuen Klassen funktionieren werden. Altersübergreifend, flexibel, nicht an jeder Schule, maximal ein Jahr und fünf Tage die Woche, bei Bedarf auch weniger. Und auch nicht die ganze Zeit, weil auch in regulären Klassen der Unterricht verbracht werden soll. Das System solle so flexibel wie möglich gehalten werden. Immerhin sei das Bildungsniveau der Kinder so unterschiedlich. Und ja, man würde lieber Kinder regulär in Klassen integrieren, aber dafür gebe es weder die räumlichen Gegebenheiten noch das Personal. So weit alles richtig.
Mit einem einzigen Unterschied: Im Büro von Stadtschulrätspräsidentin Susanne Brandsteidl möchte man diese Idee als „Kurse für Flüchtlinge“ bezeichnet wissen, wie eine Sprecherin noch am Freitagabend mitteilte. Immerhin, so die Argumentation, könnte man bei Klasse ja glauben, dass man diese von September bis Juni besuchen müsse und nicht auch unter dem Jahr ein- und aussteigen könnte.
Dahinter steckt eine seit Jahren geführte Diskussion, ob man Kinder, die ein Sprachdefizit haben oder überhaupt kein Deutsch können, in eigenen Klassen auf den Unterricht vorbereiten darf. Die ÖVP fordert das schon lang, die SPÖ hat sich dem immer mit dem Verweis auf Ghettoklassen oder gar Ausländerklassen verwehrt. Die Idee in Wien ist also ein Tabubruch.
Daher überrascht es nicht, dass die ÖVP Wien den Vorschlag für gut befindet und generelle Vorbereitungsklassen fordert – die könnten auch für Kinder gedacht sein, die nach dem Kindergarten noch Sprachdefizite aufweisen. „Das hat nichts mit Ghettoklassen zu tun [.?.?.], sondern wäre eine Initiative, um gleiche Chancen und Fairness herzustellen“, meldete sich ÖVP-Wien-Chef Manfred Juraczka am Samstag in einer Aussendung zu Wort. Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) hat dafür weniger unterstützende Worte für den Vorschlag ihrer Genossen in Wien parat: „Für Kinder und jugendliche Flüchtlinge kann es durchaus sinnvoll sein, mit einem Intensivsprachkurs zu beginnen, in dem sie etwa vier Wochen Grundlagen der Alltagssprache Deutsch erwerben. Auf die Integration der Schüler und Schülerinnen muss jedoch von Anfang an in einer Gruppe Gleichaltriger höchstes Augenmerk gelegt werden“, teilt sie der „Presse am Sonntag“ mit. Und weiter: „Im Besonderen muss auf die aktive Sprachpraxis im Klassenverband geachtet werden. Die Solidarität im Klassenzimmer führt die Kinder auch nach ihren schrecklichen Erlebnissen wieder in eine Normalität zurück.“
Problemfeld Schule
Dabei tut die Stadt gut daran, sich eine Strategie für die Schule zu überlegen. Und zwar eine nachhaltige. 60 Prozent der Wiener Pflichtschüler haben eine andere Muttersprache als Deutsch. Jeder fünfte Wiener Pflichtschüler mit Migrationshintergrund kann der Unterrichtssprache Deutsch nicht folgen. Insgesamt 12.100 Wiener Pflichtschüler werden daher als außerordentliche Schüler geführt. Die Zahl hat sich in den vergangenen Jahren durch die Flüchtlinge bereits erhöht – Tendenz weiter steigend. „Die Quereinsteiger, die jetzt in die Schule kommen, sind ein erhebliches Problem für das Schulsystem. Das darf man nicht unterschätzen. Und es ist nicht zu erwarten, dass der Strom abreißt“, sagte Heinz Fassmann, Vorstand des unabhängigen Expertenrates im Integrationsministerium bereits am Donnerstag zur „Presse“. Gerade bei jungen Menschen dürfe man nicht bei Deutschkursen sparen. „Sonst hat man eine verlorene Generation an Jugendlichen, die in Österreich bleiben. Und die dann aufzufangen, wird um vieles teurer kommen.“
Lange Wartezeiten
Doch nicht nur Schulen haben Probleme mit dem Deutschen. Bis zu einem halben Jahr Wartezeit müssen erwachsene Flüchtlinge derzeit auf einen Sprachkurs warten. Auch wenn die Zahl der Angebote bereits massiv erhöht wurde. Mehr als fünf Monate lagen etwa beim 43-jährigen Syrer Nabil zwischen Grund- und dem weiterführenden Deutschkurs, den er dieser Tage im Institut Update Training im 20. Bezirk absolviert. „Das war schlecht, ich habe alles wieder vergessen“, sagt er. Auch der 21-jährige Mohammad wartete acht Monate, bis er zu einem Kurs zugelassen wurde.
Durch zu lange Wartezeiten würden vorhandene Qualifikationen verschüttet werden. Die Menschen hätten laut dem Experten Fassman Probleme, wieder in den Arbeitsmarkt zu kommen. „Man muss hier klare Prioritäten setzen. Es wird sonst einfach kosten, diese Menschen wieder in eine vermittlungsfähige Position zurückzuholen.“ Denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Flüchtlinge rasch wieder zurückkehren, hält er für nicht groß. Syrien, Irak, Afghanistan seien Failed States. Im Gegensatz zu den wohlhabenden (und sicheren) Staaten Europas.
Rund 600 Einheiten, also fast ein Jahr an intensivem Sprachtraining braucht es, damit ein Schüler Deutsch auf B1-Niveau beherrscht, erklärt Alma Memic-Avdic, Bereichsleitung Sprachen bei Update Training. Das Level ist notwendig, um die Ausbildung in Österreich anerkennen zu lassen. Memic-Avdic ist selbst in den 90ern aus Bosnien nach Österreich geflohen. Seit damals, sagt sie, hätte Österreich in Hinblick auf Spracherwerb viel nachgeholt. So viele Kurse wie heute gab es damals nicht.
Jene Generation, die bis heute nicht gut Deutsch kann, ist eine bittere Erinnerung daran. „Wir haben in der Debatte um Deutschkenntnisse sehr lang gewartet, um Entscheidungen zu treffen“, sagt Heinz Fassmann dazu. Zum Glück hätte sich diese Einstellung geändert. Auch bei den Flüchtlingen selbst. „Viele der Schüler sind froh, dass sie bei uns einen Deutschkurs besuchen können und fragen gleich nach Ende, wann sie den nächsten besuchen können“, erzählt Alma Memic-Avdic. Hendea, eine 40-jährige Syrerin, die mit Nabil und Mohammed im Deutschkurs ist, lernt nach dem Kurs jeden Nachmittag mit ihrem Mann und ihren vier fast schon erwachsenen Kindern Deutsch.
Doch muss es immer ein klassischer Deutschkurs sein? Vor allem, wenn keiner vorhanden ist? Dass man beim Sprachunterricht mehr auf neue Medien setzen könnte, schlägt Migrationsforscherin Gudrun Biffl vor. Sie hätte gute Erfahrungen mit Asylwerbern gemacht, die über das Smartphone Deutsch gelernt haben. „Das Handy ist ihr Kontakt in die Heimat, sie können alle damit gut umgehen“, sagt sie. Spezielle Lern-Apps und einmal die Woche ein unterstützender Unterricht, sei eine Idee, wie man Deutschkurse auch abhalten könnte. Nicht in jedem Fall. Aber grundsätzlich müsse man mobiler denken. „Die Leute sind nicht unbeholfen. Die Moderne ist bei den Flüchtlingen angekommen.“